14.12.2012

Rückenleiden - manchmal geht es nicht ohne OP

Heide - Sprechstunde in der Ambulanz der Heider Klinik für Neurologie: Bei den meisten der elf Patienten, die Dr. Urs Nissen diesmal untersucht, ist weiterhin eine konservative Behandlung mit Physiotherapie und Schmerzmedikamenten sinnvoll. Zwei Patienten müssen weiter untersucht werden; Dr. Nissen überweist sie zum Radiologen. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) soll Aufschluss über den Grad der Schädigung der Wirbelkörper geben. Lediglich bei einem einzigen Patienten empfiehlt er anhand vorangegangener Untersuchungen eine Bandscheibenoperation, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Für den Chefarzt der Klinik für Neurchirurgie ist dies ein normaler Ambulanztag.

In den Medizinischen Versorgungszentren des Westküstenklinikums mit den Standorten Heide, Heide-Mitte, Brunsbüttel und Itzehoe werden jährlich mehr als 2500 Patienten neurochirurgisch versorgt. Hinzu kommen Überweisungen von Haus- und Fachärzten sowie anderen Kliniken. Die Spezialisten der Klinik für Neurochirurgie operieren etwa 500 bis 550 Patienten pro Jahr an der Wirbelsäule. Diese Zahl ist seit zehn Jahren gleich bleibend.

 "Wir operieren Patienten nur dann an der Wirbelsäule, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Erst die konservative Therapie, dann die Aufklärung und erst dann die OP." Vehement wehrt sich Dr. Nissen gegen die jüngst von Krankenkassen veröffentlichten Behauptungen, bundesweit seien zahlreiche Operationen auf diesem Gebiet völlig unnötig. "Damit wird alles über einen Kamm geschert. Die Patienten sind verunsichert. Letztendlich wird so verhindert, dass wir den Patienten so helfen können, wie es nach dem Stand der Technik möglich wäre."

Tatsächlich ist das Problem der adäquaten Behandlung von Rückenleiden sehr vielschichtig. Neurochirurgische Hauptabteilungen wie am Westküstenklinikum Heide können einen ganzen Strauß an Behandlungsmethoden anbieten und nur, wenn alle anderen Optionen ausgereizt sind, dem Patienten eine Operation nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen empfehlen. Die Klinik ist rund um die Uhr besetzt und hat damit deutlich mehr Möglichkeiten zur Versorgung der Patienten als beispielsweise Häuser, in denen nur einige Betten für neurochirurgische Fälle vorgehalten werden.

Zweites Problem: Bei der Behandlung von degenerativen Erkrankungen, also überwiegend Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, sind Operationen in der Regel nicht zwingend notwendig, um das Leben der Patienten zu retten. Es handelt sich um "relative Indikationen", um beispielsweise großen Schmerz zu lindern oder Lähmungsgefühle zu vermeiden. Der Patient könnte also auch ohne Operation auskommen, wenn er bereit ist, ein gutes Stück Lebensqualität einzubüßen. Anders sieht es bei den Folgen eines Unfalls oder Krebs aus - dann ist Operation oft die wichtigste Option.

Doch das Thema hat auch eine politische und eine wirtschaftliche Komponente, auf die der Chefarzt und das Westküstenklinikum bereits vor einem guten Jahr hingewiesen hatte. In einer Expertise hatte Dr. Nissen auf die negativen Folgen des wachsenden Angebots im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie aufmerksam gemacht. Über das schleswig-holsteinische Sozialministerium ist ein entsprechendes Papier bis zur Beteiligtenrunde von Politik, Krankenkassen, Krankenhausgesellschaft und Kassenärztlicher Vereinigung auf Bundesebene vorgedrungen.

"Viele kleine Krankenhäuser haben Miniabteilungen für Wirbelsäulenoperationen eingerichtet, weil das zum einen wirtschaftlich attraktiv und zum anderen nicht durch Zulassungssperren gedeckelt war. Das hat aber meiner Ansicht nach nicht zu einer Verbesserung der Versorgung geführt", bemängelt Dr. Nissen. Die kleinen Unterabteilungen schwächen die vier schleswig-holsteinischen Hauptabteilungen in Heide, Flensburg, Kiel und Lübeck. Die aber hätten sowohl einen grundsätzlichen Versorgungsauftrag, als auch einen Ausbildungsauftrag zur Weiterbildung von Assistenzärzten. Diese Hauptabteilungen können sich demnach nicht die "wirtschaftlich interessanten Rosinen" herauspicken, sind aber auf die Honorare für die Behanldung von Wirbelsäulenpatienten angewiesen, um wirtschaftlich arbeiten und so eine Rund-um-die Uhr-Versorgung aufrecht erhalten zu können. Chefarzt Dr. Nissen sieht daher Politik und Krankenkassen in der Pflicht: "Wenn eine neurochirugische Abteilung sinnvoll und auch noch wirtschaftlich arbeiten soll, muss sie eine gesunde Mischung von Patienten haben und nicht nur die Fälle, an die sich andere nicht herantrauen."

Auf den Alltag in der Klinik haben diese Überlegungen bei Dr. Nissen und seinen Oberärzten jedoch keinen Einfluss. Bei ihnen steht nach wie vor der Patient und dessen Wille im Vordergrund. Daher haben sich die Heider Neurochirurgen, die auch im WKK Brunsbüttel Ambulanz-Sprechstunden anbieten, neben einer umfassenden Diagnostik und der Therapie vor allem Aufklärung und Beratung auf die Fahnen geschrieben. Denn: Je besser ein Patient über alle therapeutischen Möglichkeiten aufgeklärt wird, desto eher kann er selbst eine Entscheidung über die Behandlung treffen.

Dr. Urs Nissen, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie am Westküstenklinikum Heide.