22.05.2014

In der Hausarztpraxis arbeiten und Nordseeluft schnuppern

Heide/Hamburg – Blut abnehmen, EKG schreiben, Lunge abhorchen, Blutdruck messen und sich immer wieder mit den Sorgen der Patienten befassen – Alltag in einer Dithmarscher Hausarztpraxis, aber Neuland für Medizinstudenten. Seit dem vergangenen Jahr können Studenten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) ihr zweiwöchiges Praktikum im Bereich der Allgemeinmedizin auch an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste absolvieren. „Ich bin davon ausgegangen, dass ich in einer kleineren Praxis auf dem Lande mehr lernen kann und besser betreut werde, als in einer der großen städtischen Praxen“, erklärt Hannes Michelsen. Die Erfahrung gibt ihm Recht. Nach zwei Wochen äußert sich der Student im sechsten Semester ausgesprochen zufrieden mit dem Praktikum, das er in der Praxis von Dr. Melanie Möller im beschaulichen Wesselburen absolvierte.

Auch die Erwartungen von Saskia Gönner wurden übertroffen. „Ich wurde in der Gemeinschaftspraxis in Süderhastedt mit offenen Armen empfangen und hatte schon nach wenigen Tagen das Gefühl, dazu zu gehören“, erzählt sie. Die Studentin wurde in der Praxis von Uwe Lamping und Dr. Elke Wischmann nicht nur während der Sprechzeiten in den ärztlichen Alltag eingeführt, sondern fuhr auch mit zu Hausbesuchen und absolvierte einen Nachtdienst.

Ermöglicht werden die Praktika durch ein gemeinsames Projekt des Medizinischen Qualitätsnetzes Westküste (MQW), des Westküstenklinikums (WKK) und des UKE. Unter dem Motto „Studenten an die Küste“ sollen angehende Ärzte schon zu einem sehr frühzeitigen Zeitpunkt mit der Arbeit „auf dem Lande“ vertraut gemacht werden. Dabei wird eine langfristige Zielsetzung verfolgt: Wer Spaß im Praktikum hat, dort viel lernt und sinnvolle Arbeit verrichten kann, kommt unter Umständen  als Student im Praktischen Jahr oder als Assistenzarzt nach Dithmarschen zurück. Und vielleicht bleibt auch der eine oder andere Facharzt für Allgemeinmedizin nach seiner Weiterbildung im Westküstenklinikum in der Region, um sich als Hausarzt niederzulassen. Das Projekt gilt  demnach auch als eine Maßnahme, um langfristig dem drohenden Ärztemangel auf dem Lande zu begegnen.

„Wenn in einigen Jahren viele Hausarztkollegen in Dithmarschen ihre Praxis aus Altersgründen abgeben wollen, werden sie es schwer haben, einen Nachfolger zu finden. Wir können also gar nicht früh genug damit anfangen, Medizinstudenten für die Arbeit in einer ländlichen Praxis zu begeistern“, erläutert Burkhard Sawade, hausärztlicher Sprecher des Ärztenetzes MQW. Er selbst hat bereits ebenfalls studentische Praktikanten in seiner Meldorfer Gemeinschaftspraxis betreut. Die Ausbildung macht ihm dabei ebenso viel Freude, wie Dr. Möller in Wesselburen. Und auch die Patienten zeigen sich sehr aufgeschlossen.

Ausgangspunkt des Projekts war das Problem der Universität, genug ausbildungswillige Praxen für die Vielzahl der UKE-Studenten zu finden. Harald Stender, Geschäftsführer der Westküstenkliniken Brunsbüttel und Heide gGmbH, erklärte sich daher im Gespräch mit Dr. Maren Ehrhardt, Stellvertreterin des Direktors des Instituts für Allgemeinmedizin, zur Hilfe bereit. Mit dem MQW war schnell der richtige Ansprechpartner gefunden. Und innerhalb des Ärztenetzes gibt es mittlerweile sieben Praxen, in denen die Medizinstudenten ihre obligatorischen allgemeinmedizinischen Praktika absolvieren können. Bei den Unterkünften oder anderen logistischen Fragen hilft das Westküstenklinikum oder zahlt – wie bei Hannes Michelsen – die Anmietung einer Ferienwohnung.

Das Westküstenklinikum erhofft sich von den Praktika, dass die Studenten auch nach dem Examen den Weg nach Heide oder Brunsbüttel finden und sich auf eine Assistenzarztstelle im WKK bewerben. „Als akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg sind wir in die Ausbildung der angehenden Ärzte schon seit längerem eingebunden. Jetzt können die Studenten bereits vor ihrem Praktischen Jahr Nordseeluft schnuppern“, erläutert WKK-Chef Harald Stender.

Ob die Medizinstudenten später tatsächlich erneut nach Dithmarschen kommen, ist heute noch nicht vorhersehbar. Immerhin könnte sich Saskia Gönner vorstellen, später als Hausärztin auf dem Lande zu leben: „Gerne würde ich mit meiner späteren Familie aufs Land ziehen und mir dort ein schönes Häuschen kaufen - ohne dies bis zum Ende meiner Tage abbezahlen zu müssen.“ Hannes Michelsen ist indessen noch unentschlossen und will sich erst einmal in den verschiedenen Fachbereichen umsehen. Aber ausschließen will er die Option „Hausarzt auf dem Lande“ nicht.

Hannes Michelsen, Hamburger Medizinstudent im 6. Semester, fühlt sich wohl in der Landarztpraxis von Dr. Melanie Möller. (Foto: Kienitz)

Hannes Michelsen, Hamburger Medizinstudent im 6. Semester, fühlt sich wohl in der Landarztpraxis von Dr. Melanie Möller. (Foto: Kienitz)

Hannes Michelsen, Hamburger Medizinstudent im 6. Semester, fühlt sich wohl in der Landarztpraxis von Dr. Melanie Möller. (Foto: Kienitz)