10.05.2013

Für kurze Zeit aus dem Leben gerissen

Heide/Thaden - Es ist sieben Uhr. Für Rolf Blödorn beginnt der Tag wie jeder andere. Hund rauslassen, Kaffee kochen. Doch als seine Frau Marion wenige Minuten später in die Küche kommt, merkt sie schnell, dass etwas mit ihrem Mann nicht in Ordnung ist. Was dann folgt, läuft ab wie in einem Film. Er beginnt zu schwanken. Geistesgegenwärtig schiebt sie ihm noch einen Stuhl unter, auf dem er dann zusammensackt. Von da an fehlt im die Erinnerung - Filmriss. Marion Blödorn überlegt nicht lange und eilt zum Telefon. Innerhalb von zehn Minuten steht der Rettungswagen bereits vor dem Haus in Thaden (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Nach einer kurzen Überlegung, ob man auf den Notarzt warten oder einen Hubschrauber rufen solle, entscheiden die Rettungsdienstassistenten: Nicht mehr warten, den Patienten sofort ins Westküstenklinikum nach Heide bringen. Dort warten bereits die vom Wagen aus alarmierten Ärzte. Vom Auftreten der ersten Symptome bis zum Beginn der wichtigsten diagnostischen Maßnahmen ist nicht einmal eine Stunde vergangen.
"Ich habe mir gleich gedacht, dass es sich um einen Schlaganfall handelt. Und ich wusste, dass dann jede Minute zählt", erzählt Marion Blödorn später. Recht hat sie. Je schneller ein Patient mit Symptomen eines Schlaganfalls behandelt wird, desto besser sind seine Chancen auf eine Heilung. "Jede halbe Stunde Verzögerung bringt eine schlechtere Prognose mit sich. Insgesamt haben wir für die Akuttherapie nur ein Zeitfenster von fünf bis sechs Stunden", erläutert Priv. Doz. Dr. med. Johann Hagenah, Chefarzt der Klinik für Neurologie am WKK Heide. Täglich werden zwei bis drei Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall in seiner Klinik eingeliefert. Doch oft zu spät. Wenn die Akutphase vorüber ist, können die Experten nur noch Schadensbegrenzung betreiben.

Rolf Blödorn jedoch kommt rechtzeitig ins Krankenhaus. Nach der ersten Überprüfung der Vitalfunktionen wird ein Computertomogramm (CT) vom Kopf veranlasst, um eine Hirnblutung auszuschließen und nach Frühzeichen eines Hirninfarktes zu suchen. Da es sich um eine schwere Ausfallsymptomatik handelt, wird zusätzlich eine computertomographische Angiographie, bei der ein Kontrastmittel gespritzt wird, durchgeführt. Dabei kann festgestellt werden, wo sich das Blutgerinnsel (Thrombus) verbirgt. Das Ergebnis ist erschütternd: In einem wichtigen Blutgefäß des Kopfes zeigt das Bild ein gut ein Zentimeter langes Gerinnsel, zu groß, um es durch ein Medikament aufzulösen.

Es bleibt als therapeutische Option nur der Versuch einer Thrombektomie, bei der mithilfe eines dünnen Katheters der Thrombus mechanisch entfernt wird. Dieser Eingriff ist in Schleswig-Holstein nur in sehr wenigen Krankenhäusern, wie zum Beispiel in den Universitätskliniken Lübeck und Kiel durchführbar. Chefarzt Prof. Dr. med. Reimer Andresen und sein Stellvertreter, Priv. Doz. Dr. Christian Wissgott, vom Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie / Neuroradiologie verfügen sowohl über die Ausbildung, als auch über die notwendige Erfahrung, so dass der Eingriff auch in Heide durchgeführt werden kann. Ein Glück für Rolf Blödorn, denn so kann innerhalb einer Stunde das Gefäß wieder vollständig eröffnet werden. Kurz darauf erwacht der Siebzigjährige wie aus einem bösen Traum. Die meisten Ereignisse hat er nur verschwommen wahrgenommen.

Agil, wie der ehemalige Soldat noch ist, würde er am liebsten aufstehen und herumlaufen. Das jedoch muss noch eine Weile warten. Um auf "Nummer sicher" zu gehen, bleibt er noch 72 Stunden in der Stroke Unit, einem speziellen Schlaganfall-Überwachungsbereich, bevor er in ein normales Zimmer verlegt werden kann. "Das Bett habe ich dann schon selber geschoben", berichtet er stolz. Bereits nach zwölf Tagen ist sein Zustand so stabil, dass er nach Hause entlassen wird. Selbst die weitere Rehabilitation musste nicht stationär erfolgen. Drei Wochen lang wird er täglich in die Tagesklinik der Klinik für Frührehabilitation und Geriatrie nach Heide gefahren um dort ambulant behandelt zu werden. Inzwischen ist (fast) alles wieder wie früher. Allerdings muss sich Blödorn doch noch ein wenig schonen und auch der Spaß am vielen Lesen kommt erst langsam wieder.

"Das Beispiel von Rolf Blödorn zeigt, wie wichtig es ist, bei Verdacht auf einen Schlaganfall schnell ins Krankenhaus zu kommen. Wir haben dann mehr Behandlungsoptionen. Damit vergrößert sich auch die Chance, dem Patienten mehr Lebensqualität zurück zu geben", erklärt Dr. Hagenah. Allerdings kommt die Thrombektomie verhältnismäßig selten zum Einsatz. Innerhalb von viereinhalb Stunden ist die sogenannte Lysetherapie durchführbar. Dabei wird über einen Tropf ein Medikament verabreicht, das das Gerinnsel in kürzester Zeit auflösen kann. Wenn das Zeitfenster jedoch überschritten ist, bleibt nur noch eine Schadensbegrenzung durch Überwachung der Vitalparameter, Schutz vor einem erneuten Schlaganfall durch Medikamente oder Beseitigung einer Gefäßverengung. Der Weg zur Genesung ist dann oft sehr lang, wobei sowohl Physiotherapie, als auch Ergotherapie und Logopädie zum Einsatz kommen.

Grundsätzlich wird sich das Problem angesichts der alternden Bevölkerung in den kommenden Jahren verschärfen. Dabei kommen die Patienten nicht nur aus Dithmarschen, auch aus den umliegenden Kreisen, vor allem aus Nordfriesland und per Hubschrauber von den Inseln, werden sie ins Westküstenklinikum eingeliefert, da Heide nun einmal viel näher liegt als Kiel oder Hamburg. Auch für Rolf Blödorn hat sich die Nähe seines Heimatdorfes Thaden bei Hanerau-Hademarschen zum WKK ausgezahlt. Eine geistesgegenwärtige Ehefrau, ein effizienter Rettungsdienst und eine gut funktionierende Behandlungskette haben ihm ein großes Maß an Lebensqualität erhalten.

Nachbesprechung: Einige Wochen nach der Akut-Behandlung und der Frührehabilitation berichtet Rolf Blödorn dem Chefarzt der Klinik für Neurologie, Priv. Doz. Dr. med. Johann Hagenah, wie es ihm seitdem ergangen ist. (Foto: WKK/Kienitz)