05.08.2009

Zentrale Patientenversorgung im WKK Heide platzt aus allen Nähten

Mehr Platz, mehr Betten und mehr Personal - aber die Kapazitäten sind schon jetzt voll ausgelastet

Heide - Erst eine Herzuntersuchung vorbereiten, fünf Minuten später einen weiteren Patienten wiederbeleben, kurz darauf ein Gespräch mit Angehörigen. Und die Arbeit reißt nicht ab. Dicht gedrängt reihen sich Aufgabe an Aufgabe. Ruhe ist für das Pflegepersonal und die Ärzte der Zentralen Patientenversorgung (ZPV) eine Seltenheit. Hinzu kommen Beschwerden, wenn die Patienten nicht mehr verstehen, warum ihnen ein noch schlimmerer Notfall vorgezogen wird. "Und das kann an den Nerven zerren", weiß Ronny Kunack-Constabel. Der examinierte Pfleger ist stellvertretender Leiter der ZPV-Station im Westküstenklinikum. "Unsere Arbeit ist sowohl körperlich anstrengend, als auch psychisch belastend. Und dennoch machen wir sie gern."

Dabei kennt Kunack-Constabel auch andere Zeiten, die noch gar nicht einmal so weit zurückliegen. Im Jahr 2003 versorgte seine Station - damals noch Zentrale Aufnahmestation oder auch Notaufnahme genannt - etwa 450 Patienten im Monat, in diesem Jahr wurde bereits zweimal die 900-Marke überschritten. Im Juni waren es sogar 960. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis es monatlich mehr als 1000 Patienten sind.

Warum die Zahl der Patienten so stark ansteigt, erklärt Prof. Dr. Fritz Sixtus Keck, der als Chefarzt der Medizinischen Klinik gleichzeitig Chef der von Oberarzt Dr. Hans-Günter Linke geleiteten ZPV ist: "Ein wichtiger Grund ist sicher die demografische Entwicklung. Es gibt immer mehr ältere Patienten, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Wenn es dann zu akuten Bedrohungen wie Atemnot kommt, überweist der Haus- oder Notarzt sie ins Krankenhaus, wo sie zunächst alle auf der ZPV angesehen werden." Andere Gründe sind nicht in erster Linie medizinischer Natur sondern hängen mit speziellen Entwicklungen im Gesundheitssystem zusammen. So gibt es in einigen größeren Gemeinden gar keine Arztpraxen mehr und in ihrer Not wenden sich die Patienten an die Klinik in Heide. Erste Anlaufstation auch hier die Zentrale Patientenversorgung. Wenig begeistert sind Ärzte und Pflegepersonal von Patienten, die die ZPV nur in Anspruch nehmen, weil sie sich hier diagnostische Leistungen wie zum Beispiel Röntgen- oder Computertomographie-Aufnahmen schneller erhoffen als bei niedergelassenen Ärzten - auch bei Maßnahmen, die durchaus noch Zeit hätten. Solche Fälle nehmen ebenfalls deutlich zu.

Trotz der hohen Auslastung von Räumlichkeiten und Personal und den damit verbundenen Wartezeiten ist die Patientenzufriedenheit innerhalb eines Jahres deutlich gestiegen. Dies belegt eine Studie der Hamburger Organisationsberaterin Dr. Ingeborg Rubbert, die als Expertin die Umorganisation der einstigen Notaufnahme begleitet und untersucht hat. Im Vergleich zum Juni 2008 zum Juni 2009 verbesserten sich die Werte zusehends. Fühlten sich 2008 lediglich 60,3 Prozent der Patienten gut betreut, so lag der Wert in diesem Juni bei 92 Prozent. Bei der Wartezeit schnellte der Wert sogar von 41 auf 90 Prozent nach oben. Bei der Patientenbefragung wurden jedoch auch Kritikpunkte geäußert: Neben kürzeren Wartezeiten und einer schnelleren Verlegung auf andere Stationen wurde angeregt, den Ablauf künftig besser zu erklären. Außerdem wurde gefordert, jüngere Patienten möglichst nicht mit älteren auf ein Zimmer zu legen.

Die Krankenhausplaner hatten bei der Konzeption des Neubaus eine moderate Steigerung des Bedarfs durchaus im Blick. Die Zahl der Betten und Behandlungseinheiten wurde mit Inbetriebnahme des Neubaus um etwa ein Drittel erhöht. Die Strukturen konnten deutlich verbessert werden; immerhin liegen die diagnostischen Abteilungen wie Sonografie, Endoskopie und Röntgen in unmittelbarer räumlicher Nähe. Und auch das Personal wurde und wird noch weiter aufgestockt. 2008 wurden drei examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, drei Medizinische Fachangestellte und ein Mitarbeiter für den Patiententransport eingestellt. In diesem Jahr folgen drei weitere drei Medizinische Fachangestellte sowie zwei Gesundheits- und Krankenpflegerinnen.

Doch auch diese Kapazitäten sind angesichts der Steigerungen bereits völlig ausgelastet. Die Folgen sind nicht nur höhere Wartezeiten für die Patienten, auch das Pflegepersonal leidet unter der Mehrbelastung und der Krankenstand steigt.

Dabei ist gut ausgebildetes Personal schwer zu bekommen. "Wir haben bereits jetzt Probleme neben den Ärzten auch qualifiziertes Pflegepersonal für die Zentrale Patientenversorgung zu bekommen. Und ich habe Hochachtung vor den Pflegern und Krankenschwestern, die dort ihren schweren Dienst verrichten", weiß Harald Stender, Geschäftsführer der Westküstenkliniken zu berichten. Tatsächlich erfordert die Arbeit auf der ZPV nicht nur die Bereitschaft zum Dienst in drei Schichten, sondern auch eine einjährige, spezielle "ERNA"-Ausbildung. ERNA steht dabei für "Erste Hilfe - Rettungsstelle - Notaufnahme - Ambulanzen", ein neues, sehr effizientes System der Einteilung.

Einteilung ist überhaupt sehr wichtig. Eine erste Bewertung übernimmt eine "ERNA"-Pflegekraft nach dem Ampelschema. Wer ein Rot bekommt, muss unverzüglich vom Arzt untersucht und notfalls behandelt werden. Das Gelb erfordert eine ärztliche Untersuchung binnen einer Stunde. Wer ein Grün erhält, ist nicht akut gefährdet und kommt daher erst an der Reihe, wenn Rot- und Gelb-Patienten behandelt werden. Aber auch dies soll möglichst binnen zwei Stunden erfolgen.

Nicht alle Patienten können sich mit dem System anfreunden. "Natürlich sieht sich jeder selbst als wichtigster Patient. Doch wenn nun einmal ein anderer Patient mit drohendem Herzstillstand eingeliefert wird, müssen wir diesen natürlich vorziehen", erklärt Prof. Keck. Solche Fälle könnten Wartezeiten verlängern.

Doch Wartezeiten sind nicht allein abhängig von anderen Patienten. Nach ersten diagnostischen Maßnahmen wie Blutabnahme oder EKG müssen die Ergebnisse erst abgewartet und ausgewertet werden. Das dauert eine Weile und kann auch nicht beschleunigt werden. "Leider dürfen wir einigen von unseren Patienten in dieser Zeit oft nichts zu essen oder zu trinken geben. Schließlich könnte es sein, dass noch ein Eingriff vorgenommen werden muss, bei dem sie nüchtern sein müssen", beschreibt Ronny Kunack-Constabel die Situation. Hungrige oder gar durstige Patienten sind jedoch keine geduldigen Patienten. Und so sind es vor allem die Pflegekräfte, die den Unmut zu spüren bekommen, allen Erklärungen zum Trotz. Wenn dann alles durchgestanden ist, zeigen sich die Patienten wieder zufrieden und geben der Abteilung in der Befragung wieder Höchstnoten.

Harald Stender bricht dann auch eine Lanze für seine Mitarbeiter: "Ich wünsche mir, dass die Patienten mehr Verständnis für unsere Situation, vor allem aber für Pflegepersonal und Ärzte auf der ZPV aufbringen. Schließlich handelt es sich um hochgradig engagiertes Personal, das wir unbedingt - für die Behandlung der Kranken - im Westküstenklinikum halten wollen und müssen."

Pflegepersonal am ERNA-Tresen: Kathrin Suhn (sitzend), Julia Vollert und Ronny Kunack-Constabel.