03.05.2013

Wenn es keinen einfachen Weg mehr gibt

Heide - Ich bin doch nicht verrückt! Die immer noch vorherrschende Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen macht es Ärzten und Psychologen nicht eben leicht. Noch immer wehren sich viele Patienten gegen eine Diagnose, die sich nicht mit mit Röntgenaufnahmen, Blutuntersuchungen oder Abtasten erklären lassen. Der Blick in die eigene Seele ist dann oft schmerzhafter als ein gebrochener Arm. Im Spannungsfeld zwischen körperlichen Symptomen und psychischen Leiden bewegen sich auch zwei Begriffe, die in jüngster Zeit häufig benutzt werden, dem Arzt oder Psychologen jedoch einiges Kopfzerbrechen bereiten: das Burn-out-Syndrom und das Fatigue-Syndrom.

"Die Zahl der Patienten, die in den vergangenen Jahren mit der Diagnose ‚Burn-out' in unsere Ambulanz oder in die Tagesklinik überwiesen worden ist bis 2012 rasant angestiegen. Erst in diesem Jahr scheint die Welle ein wenig abzuebben", berichtet Dr. Thomas Birker, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Westküstenklinikum Heide. Ob die Diagnose zutrifft oder ob sich hinter den Symptomen nicht doch etwas anderes verbirgt, müssen die Ärzte dann in Gesprächen und Tests herausfinden.

Dr. Birker spricht dann von einem Burn-out-Syndrom, wenn der Patient lange Zeit im Beruf und auch anderswo hoch motiviert und leistungsfähig war, dann aber die eigenen Leistungsgrenzen übersteuert hat. Es folgen innerhalb kürzester Zeit körperliche Beschwerden und psychische Störungen, die ihn unfähig machen, seinen beruflichen Verpflichtungen nachzugehen. "Oft wird gesagt, wer nicht wirklich ‚gebrannt' hat, also über seine persönlichen Grenzen hinweg Leistung bis zur Erschöpfung gebracht hat, der hat auch kein Burn-out", berichtet der Chefarzt.

Auf der anderen Seite gibt es Patienten, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur ohnehin kaum belastbar sind, die daher schnell an ihre Grenzen stoßen und häufig oder sogar immer überfordert sind. In der Regel ist dann die Voraussetzung für die Diagnose nicht erfüllt. Sie müssen demnach auch anders behandelt werden.

In beiden Fällen müssen jedoch die Symptome diagnostiziert und die Persönlichkeitsstruktur des Patienten aufgedeckt werden, bevor es zu einer wirksamen Therapie kommen kann. Die Behandlung wird dann individuell auf den Patienten abgestimmt und kann zum Beispiel aus der Gabe von Medikamenten, Psychotherapie und anderen Therapien bestehen.

Diese Therapiezusammensetzung ist oft auch beim so genannten Fatigue-Syndrom zu finden. Dabei handelt es sich um eine Art permanenten Erschöpfungszustand, der sich durch Symptome wie Schlafstörungen, ständige Müdigkeit und gefühlter Kraftlosigkeit darstellt. Das Syndrom geht zuweilen einher mit Krebserkrankungen oder schweren chronischen Krankheiten. Häufig versteckt sich dahinter aber auch eine psychische Störung wie zum Beispiel eine schwere beziehungsweise mittelschwere Depression, eine Persönlichkeitsstörung oder eine andere psychiatrische Diagnose.

Im Gegensatz zu den Burn-out-Patienten bekommen es Dr. Birker und sein Team nicht so häufig mit Menschen zu tun, denen ein Fatigue-Syndrom zugeschrieben wird. "Diese Patienten wenden sich auf Grund ihrer somatischen Symptome primär organmedizinischen Kollegen zu, von denen sie hoffen, dass diese ihren permanenten Erschöpfungszustand erklären können. Sie tun sich sehr schwer, den Blickwinkel des Psychiaters zuzulassen", erklärt der Heider Chefarzt. Wer sich jedoch auf diese Schiene einlässt, hat gute Chancen auf Linderung oder sogar Heilung. In den meisten Fällen hilft dann eine Psychotherapie, eventuell in Kombination mit einer Psychopharmakotherapie.

Die Beispiele zeigen die Problemfelder bei Syndromen auf, die aus einem Sammelsurium von Symptomen bestehen und die in der Wissenschaft bislang nur teilweise anerkannt werden. "Wir sollten uns daher hüten, vorschnell Diagnosen zu stellen, die vielleicht gerade modern sind, die aber der Heilung des Patienten - und das sollte ja das erste Ziel sein - nicht unbedingt dienlich sind", lautet das Fazit von Dr. Thomas Birker.

Dr. Thomas Birker, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Westküstenklinikum Heide. (Alle Fotos: WKK)