20.10.2009

Maritime Notfallmedizin unter 25 grünen Segeln

Manöver Schweinehälften, Vitamin C und Notärzte des WKK auf der "Alexander von Humboldt"

Heide/Wilhelmshaven (rjs) 1000 Quadratmeter grüne Segel über und 100 Meter Wasser unter den Bootsplanken konnten Pflegekräfte und Notärzte des Westküstenklinikums bei einer Fortbildung zu Notfällen am und im Wasser aus nächster Nähe erleben. An Bord des legendären Dreimasters "Alexander von Humbold" fassten die Tagesgäste auf Kommando von Toppsmatrose Olaf zunächst kräftig beim Hissen der 25 Segel mit an, bevor sie Theorie und Praxis der Wasserrettung erarbeiteten. Zusammen mit ehrenamtlichen Ersthelfern der DRK-Wasserwacht Nordrhein sowie Mitarbeitern der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) und dem Schifffahrtsmedizinischen Institut der Marine Kiel-Kronshagen wurde die Versorgung von Notfallpatienten auf dem Wasser geübt.

Aus medizinischer Sicht ist die Wasserrettung eine besondere Herausforderung, die in der Notarztausbildung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Um den Umgang mit Wasserunfällen durch Fachwissen zu erweitern aber insbesondere auch durch eigene Erfahrung zu üben, konnten die Notärzte aus ganz Deutschland unter erschwerten Bedingungen bei Regen und Windstärke 6 auf der Nordsee vor Wilhelmshaven üben: neue Hilfsmittel in der Seenotrettung am Modell Emma, Wundversorgung mit Nadel und Faden auf schwankenden Planken, lebensrettende Zugänge an frisch gekühlten Schweinehälften, außerdem Vorträge zur Bekämpfung von Seekrankheit, Herz-Lungen-Wiederbelebung und neuen Beatmungstechniken (SARRRAH). Abgerundet wurde das Arbeitsprogramm durch praktische Einweisungen in das beengte Bordleben der Stammcrew sowie durch ein "Mann-über-Bord-Manöver" mit Unterstützung des DGzRS-Schiffs "Hannes Glogner".

Initiator PD Dr. Stefan Schröder, leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin des WKK in Heide, konnte sich erneut über eine ausgebuchte Veranstaltung freuen. "Die 70 Kollegen aus Heide und ganz Deutschland waren äußerst motiviert, denn Regen und Wind sind typische Begleiterscheinungen bei vielen Rettungseinsätzen, so dass unter sehr realistischen Bedingungen geübt werden konnte." Die Vernetzung aller an Rettungseinsätzen Beteiligten, vom geschulten Ersthelfer der Wasserwacht über ausgebildete Rettungsassistenten bis zum Notarzt, ist das Ziel der Veranstaltung. "Die Zahl der Unfallopfer am und im Wasser nimmt seit Jahren stetig zu, damit schließen wir eine wichtige Lücke in der Notarztausbildung. Wenn wir es schaffen, ein Netzwerk zum Wissens- und Erfahrungsaustausch zur gegenseitigen Unterstützung zu bilden, profitieren alle maritimen Unfallopfer von einer sehr hochwertigen Versorgung", so Dr. Schröder.

Auch die Marine war sprichwörtlich im Boot. Dr. Andreas Koch vom Schifffahrtsmedizinischen Institut der Bundeswehr konnte Physiotherapeutin Ute Bichel aus Düsseldorf durch die Aussicht beruhigen, vor Seekrankheit schon durch die tägliche Einnahme von 2g Vitamin C geschützt zu werden. "In einer Studie haben wir unter sehr realistischen Bedingungen Matrosen im Wellenbad in Rettungsinseln ausgesetzt, das haben nur wenige länger als 20 Minuten ausgehalten. Nach Vitamin C Einnahme dagegen waren vor allem bei Frauen und jüngeren Menschen die Begleiterscheinungen viel geringer und fast alle haben durchgehalten, damit können sich auch Freizeitsportler und andere Seereisende viel leichter vor Neptuns Zorn schützen."

WKK-Chirurg Dr. Frank von Feldmann zeigte sich begeistert vom SARRRAH-Projekt, das Dr. Wolfgang Baumeier vom Universitätsklinikum Lübeck vorstellte. Sogar Menschen mit einer Körperkerntemperatur von 13,7 Grad Celsius können nach Ertrinkungsunfällen durch gezielte Herz-Lungen-Maßnahmen ohne Schäden überleben, wenn alle Beteiligten über die notwendigen Maßnahmen Bescheid wissen.

Nach erfolgreicher Arbeit wurden die Teilnehmer noch durch eine Mann-über-Bord-Übung bei Sonnenschein entschädigt. Der Seenotkreuzer "Hannes Glogner" versuchte mittels Funkpeilung, einen mit einem Notsender in der Schwimmweste ausgestatteten Schwimmer bei geringer Dünung ausfindig zu machen, um ihn über das Tochterboot "Flinthörn" aufnehmen zu können. "Wie schwierig die Rettung eines Menschen bei Sturm und schlechten Sichtverhältnissen sein muss, kann man sich kaum vorstellen, das ist schon sehr beeindruckend", so ein Teilnehmer aus dem Rheinland. "Wenn man dann noch die Enge, Kälte, Lärm, Nässe und Seegang an Bord bedenkt, ist jede erfolgreiche Rettung eigentlich ein Wunder!" Für die Notärzte in wassernahen Regionen und ihre Kollegen aus den verschiedenen Rettungsdiensten hingegen ist es notwendiger Teil ihrer täglichen Praxis, die unter grünen Segeln für alle Teilnehmer eine Bereicherung war.