Um einen Gehirntumor zu entfernen, hat ein Spezialistenteam der Westküstenkliniken eine Patientin während der Operation bewusst aus der Narkose erweckt. Es war das erste Mal, dass eine so genannte Wach-Operation an den Westküstenkliniken in Heide vorgenommen worden ist.
Die Patientin hatte in Folge einer bekannten Krebserkrankung eine Metastase im Gehirn. Die beeinträchtigte das Sprachzentrum und verursachte Probleme beim Sprechen. Wegen der besonderen Lage des Tumors, entschied ein Spezialisten-Team um den Leitenden Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie, PD Dr. Niklas von Spreckelsen, die Patientin während der Operation zu erwecken und die Metastase aus dem Gehirn zu entfernen.
„Als Operateure müssen wir erkennen, ob bei dem Eingriff Körperfunktionen eingeschränkt werden. Bei Operationen im Bereich der Hirnregionen für Bewegung können wir das durch elektrophysiolgisch stimulierte Muskelantworten messen. Aber bei Eingriffen am Sprachzentrum sind wir darauf angewiesen, dass die Patienten bei Bewusstsein sind und standardisierte Tests durchführen“, erklärt Dr. von Spreckelsen. „Deswegen werden die Patienten während der OP aufgeweckt.“
Die Wach-Operation wurde im Vorwege akribisch geplant. Das Team der Radiologie fertigte einen speziellen MRT-Scan an, auf denen die hauchdünnen Faserbahnen des betroffenen Bereichs sichtbar gemacht worden waren. Das half von Spreckelsen, sich während des Eingriffs zu orientierten. Oberärztin Dr. Ina Lehnert bereitete derweil die Patientin auf den ungewohnten Eingriff und die Übungen vor, die sie während der Operation mit der Frau machen sollte.
Der Eingriff bei Bewusstsein ist möglich, weil das Gehirn selber über keine Schmerzrezeptoren verfügt und daher keine Schmerzen empfindet. Für die Öffnung und den späteren Verschluss der Schädeldecke müssen die Patienten aber in Narkose gelegt werden.
Das war in dem Fall Aufgabe von PD Dr. Marcel Hochreiter. Der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin erklärt die Herausforderungen dabei.
„An das Anästhesieteam stellt der Eingriff hohe Anforderung. Wir müssen die Schmerztherapie und Beruhigungsmittel sehr genau dosieren. Die Patienten dürfen keine Schmerzen haben, müssen aber auf den Punkt genau wach sein, um mit uns sprechen oder einfache Aufgaben ausführen zu können“, erklärt Dr. Hochreiter und führt weiter aus: Besonders anspruchsvoll ist die Atemwegssicherung, wenn die Wachphase beendet ist: Während der Operation ist der Kopf der Patientinnen und Patienten fixiert, sodass keine normale Intubation möglich ist. Deshalb kommt eine spezielle Kehlkopfmaske zum Einsatz.“
Auch auf Notfälle wie Krampfanfälle oder starke Angstreaktionen musste das Team jederzeit vorbereitet sein. Eine aufmerksame Betreuung und schnelle Reaktion waren daher in jeder Phase der Operation entscheidend.
Zwischen einer halben bis einer Stunde sind die Patienten bei einer Wach-OP bei Bewusstsein. Bis dahin muss der Tumor entfernt sein. Danach werden die Patienten wieder in Narkose gelegt. Dabei ist die Wachphase noch der kürzeste Abschnitt der Operation, die rund fünf Stunden in Anspruch nimmt.
Dr. von Spreckelsen und Dr. Hochreiter betonen: „Derartige Eingriffe sind nur in enger Absprache und Planung aller Berufsgruppen im OP möglich. Um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, haben wir im Team eigene Abläufe und Standards für Wachoperationen entwickelt, was immer auch ein Zusammenspiel aus Präzision, Erfahrung und enger Teamarbeit ist.“
Die Klinik für Neurochirurgie und spezielle Wirbelsäulenchirurgie der Westküstenkliniken ist eine von nur wenigen eigenständigen Hauptabteilungen für Neurochirurgie in Schleswig-Holstein. Rund 100 Hirntumoren werden jedes Jahr in Heide operiert.
„Wach-OPs sind selten. Die Operation unterstreicht die hohe Expertise in der Neurochirurgie als auch der anderen beteiligten Fachbereiche der Westküstenkliniken“, betont der Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, Dr. Urs Nissen.
Die Patientin hat den Eingriff gut überstanden und konnte nach gut 8 Tagen das Krankenhaus wieder verlassen und kann jetzt wieder ohne nennenswerte Einschränkungen sprechen.