17.01.2014

Bilder wie beim 3D-Kino - aber ohne Brille

Heide - Operieren oder nicht operieren? Kurz vor der Weihnachtszeit stand Joachim Kaeding vor der bislang schwierigsten Entscheidung seines Lebens - und dabei ging es um sein Leben. Der 43-jährige litt unter einem kavernösen Hämangiom - oder kurz: Kavernom, einer Gefäßmissbildung, die von Gehirngewebe umgeben war. Erschwerend kam hinzu, dass sich das gutartige, aber dennoch gefährliche Kavernom mitten im schwer zugänglichen oberen Hirnstamm ausgebreitet hatte. "Häufig sind solche Fehlbildungen sehr klein. In diesem Fall hatte es jedoch schon mehrfach Blutungen gegeben und der Prozess hatte eine bedrohliche Größe erreicht. Niemand konnte vorher sagen, was als Nächstes geschehen würde", erläutert Dr. Urs Nissen, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Westküstenklinikum Heide.

Bereits Mitte Oktober hatte Joachim Kaeding über Ausfallerscheinungen in seiner linken Körperhälfte geklagt. Hand und Gesicht wirkten zuweilen wie gelähmt. Hinzu kamen Angstzustände und Doppelbilder. "Es wirkte ganz so als würde ich einen 3-D-Film sehen, aber eben ohne die dazugehörige Brille", berichtet der Diplomingenieur der Elektrotechnik. Sein Hausarzt wies ihn in die Heider Klinik für Neurologie ein, wo er umfangreich untersucht wurde. Nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten und Anfertigung einer Kernspintomografie stand fest: Es ist ein Kavernom. Es folgte die Aufnahme in der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie. "Diese Erkrankung ist gar nicht einmal so selten; etwa ein Prozent aller Deutschen leiden darunter. Aber oft bleibt es unentdeckt und längst nicht alle Betroffenen müssen operiert werden", erklärt Dr. Nissen.

Zur weiteren Abklärung - und um eine Zweitmeinung zu erhalten - wurde der Patient ins Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf überwiesen. Dort wurde die Diagnose bestätigt. Doch die Frage, ob operiert werden sollte, stand weiter im Raum. Dabei galt es abzuwägen: Entweder alles so lassen, das Beste hoffen und abwarten, und zwar auf die Gefahr hin, dass es zu einer weiteren, dann unter Umständen lebensbedrohlichen Blutung kommt. Oder aber einem risikoreichen Eingriff zustimmen, der den Operateur in den Bereich des Gehirns führt, der für alle zentralen Steuerungsfunktionen wie z.B. Bewusstsein, Atmung und Kreislauf verantwortlich ist. "Die Ärzte standen eigentlich rund um die Uhr, auch am Wochenende und per Telefon für alle Rückfragen zur Verfügung. Die Aufklärung war wirklich super", beschreibt Joachim Kaeding den Entscheidungsprozess. Schließlich entschied er sich für den Eingriff.

Es folgte eine umfangreiche Planung, in der Dr. Nissen entschied, seinen Kollegen aus dem Universitätsklinikum Halle, Prof. Dr. med. Christian Strauß mit "ins Boot" zu holen. Beide Neurochirurgen kennen sich bereits seit vielen Jahren aus ihrer gemeinsamen Zeit am Universitätsklinikum Erlangen und haben bereits viele schwierige Operationen zusammen durchgeführt. Hauptproblem war der Zugang zum Kavernom, das von allen Seiten von lebenswichtigem Hirngewebe umschlossen war. Prof. Strauß beschäftigt sich, auch wissenschaftlich, seit vielen Jahren mit der Zugangsplanung bei Eingriffen am Hirnstamm. In einer achtstündigen Operation konnten beide Neurochirurgen gemeinsam dann schließlich die Fehlbildung komplett entfernen, ohne dass schwerwiegende neurologische Ausfälle auftraten.

Nach einigen Tagen auf der Intensivstation und einer regulären Station der Klinik wurde Joachim Kaeding in die Klinik für Frührehabilitation und Geriatrie unter Leitung von Dr. Dr. Claus Ulrich Kuipers verlegt. "Wir sind in der glücklichen Lage, eine neurologische Frührehabilitation im Anschluss an die Operationen vor Ort anbieten zu können. Durch die Therapiedichte kann frühzeitig mit der Mobilisierung der Patienten begonnen werden", so Dr. Nissen.

Joachim Kaeding selbst blickt nach der dreiwöchigen Frührehabilitation wieder zuversichtlich in die Zukunft. Es geht ihm von Tag zu Tag besser. Lediglich die Doppelbilder sind noch nicht ganz verschwunden. Daher trägt er zuweilen eine Augenklappe. Er hofft, nach der Anschlussheilbehandlung in Bad Segeberg auch darauf verzichten zu können.

Der gelungene Eingriff war nur innerhalb einer Klinik möglich, die als Hauptabteilung geführt wird und damit rund um die Uhr mit Ärzten und Pflegekräften besetzt ist. In dieser Hinsicht ist die Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie die einzige ihrer Art an der schleswig-holsteinischen Westküste zwischen dänischer Grenze und Hamburg. Vergleichbare Abteilungen gibt es in Schleswig-Holstein sonst nur in Flensburg, Kiel und Lübeck. Dementsprechend werden auch Patienten aus den angrenzenden Nachbarkreisen nach Heide überwiesen.

Auf den MRT-Bildern ist deutlich der Unterschied vor und nach dem Eingriff zu sehen. Links: Mitten im Hirnstamm das weißlich erscheinende Kavernom. Rechts: Das Kavernom ist entfernt und die Resektionshöhle hat sich mit Gehirnwasser gefüllt. (Aufnahme: WKK)

Joachim Kaeding im Abschlussgespräch mit Dr. Urs Nissen, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Westküstenklinikum Heide. (Foto: WKK/Kienitz)

Joachim Kaeding im Abschlussgespräch mit Dr. Urs Nissen, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Westküstenklinikum Heide. (Foto: WKK/Kienitz)

Joachim Kaeding im Abschlussgespräch mit Dr. Urs Nissen, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Westküstenklinikum Heide. (Foto: WKK/Kienitz)